Der Tod so bunt wie das Leben
Eine Feuerbestattung auf Bali
Als mein Gastgeber uns einlädt, ihn auf eine balinesische Cremation Ceremony, also eine rituelle Feuerbestattung zu begleiten, zögern wir. Natürlich.
Jedoch würde auf die westliche Praxis der „Trauerfeier im engsten Familienkreis“ jeder Balinese von ungläubig bis verständnislos reagieren – hier ist die Zeremonie, Ngaben genannt, ein gemeinschaftliches, tagfüllendes und knallbuntes Ereignis. Ein sehr sehr wichtiges am Ende eines Lebenszyklus. Und jeder respektvolle Gast ist herzlich willkommen.
Kurz zur Auffrischung: Das gesamte Alltagsleben der Balinesen ist durchdrungen von traditionellen, hinduistisch geprägten Ritualen und Zeremonien, die von zentraler sozialer und spiritueller Bedeutung sind. Denn diese sichern göttlichen Schutz für die Lebenden, deren Ahnen und die künftigen Generationen.
Fester Bestandteil dessen ist der Glaube an Reinkarnation, die Wiedergeburt der Seele. Das momentane Leben gilt lediglich als eine Zwischenetappe im langen Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt; der lebende Körper somit nur als zeitweiliges Gefäß. Wenn dieser versagt beginnt für die Seele ein neuer Zyklus. Dieser wird durch die rituelle Feuerbestattung positiv unterstützt, welche somit die letzte, wichtigste Ehrerweisung oder Respektsbekundung der Hinterbliebenen an den Toten darstellt.
Soweit alles klar?
Die jeweils erforderlichen Rituale sowie der geeignete Tag für die Zeremonie werden von Priestern genauestens festgelegt. Undenkbar, etwas an diesen heiligen Akt dem Zufall zu überlassen – das gebieten sowohl Respekt als auch die Sorge, dass die Seele des Verstorbenen nicht bzw. nicht korrekt von ihrem irdischen Dasein erlöst wird und lange Zeit auf der Erde oder irgendwelchen Zwischenwelten wandeln muss, was nach balinesischem Glauben einer Katastrophe gleichkommt.
Die Zeremonie ist neben aller Verehrung und Verpflichtung vor allem eine sehr kostspielige Angelegenheit, jeweils gemessen am finanziellen und gesellschaftlichen Status der Familie. Während statushöhere (und damit finanzkräftige) Familien die Körper ihrer Verstorbener innerhalb weniger Tage den Flammen übergeben, können für durchschnittliche bzw. finanzschwächere Familien schon mal Jahre vergehen, bis die Zeremonie finanziell gestemmt werden kann. Zwischenzeitlich werden die Toten erdbestattet und es werden ihnen regelmäßige Opfergaben beigebracht, um die Seele gnädig zu stimmen.
Ein probates Mittel um die Kosten zu reduzieren sind Massenverbrennungen, bei denen sich mehrere Familien zusammentun oder sich der Bestattung einer statushöheren Familie anschließen. Dies gewährleistet trotz bescheidener Mittel eine großartige Zeremonie, die Götter, Geister und Nachbarn gleichermaßen beeindruckt.
So ist auch die heutige Zeremonie angelegt, der sich 21 Familien anschließen.
Hier der Ablauf zum besseren Verständnis in Wort und Bild (unter der Galerie geht’s weiter im Text!)
Wie leicht sich das alles anfühlt! Wie unglaublich anders, positiver, ja schöner ist dieser Umgang mit dem Tod, verglichen mit unserer westlichen Kultur.
Was macht den Unterschied?
Sicher zu einem großen Teil der Glaube an die Reinkarnation (Wiedergeburt). Hier zelebriert man kein Ende sondern einen Neubeginn, der mit freudigen Erwartungen für den Verstorbenen einhergeht. Da laut vorherrschender Karmatheorie die Seele im Zyklus der Wiedergeburten immer eine positive Entwicklung nimmt, kann es perspektivisch also nur besser werden. Ich habe viele Gespräche zu diesem Thema geführt hier auf Bali, und immer waren die Erfahrungen der Einheimischen positiv. Durch korrekt durchgeführte Bestattungsrituale ist es sehr oft so, dass die Seele des Verstorbenen in dessen Familie wiedergeboren wird. Dies können Priester in den ersten Monaten nach der Geburt eines Babys mit Sicherheit feststellen – die Freude der Familie ist dann entsprechend groß, zeigt sich dadurch doch eine enge Verbundenheit der Ahnen. Und es bestätigt den Glauben daran, dass der vorherige Tod keinen endgültigen Verlust darstellt.
Wir mögen ja im Westen eine gewisse vorgefertigte (vermeintlich wissenschaftlich fundierte) Anti-Meinung haben über Götter und Geister und Wiedergeburt – wenn man jedoch die Geschichten der Einheimischen hört oder dahingehend eigene Erfahrungen macht, kommt das bislang vermeintlich unerschütterliche Weltbild doch ganz massiv ins Wanken…
Doch neben den religiösen gibt auch erhebliche gesellschaftliche Unterschiede im Bezug auf den Umgang mit dem Tod. Zunächst ist hier im Prozess des Sterbens, des Todes und der Zeit danach niemand allein, weder der Sterbende noch die Angehörigen. Familie, Freunde und Nachbarn wechseln sich in ihren Besuchen ab, womit zumindest in den ersten Tagen nach dem Tod eines Angehörigen rund um die Uhr eine Menge Leute vor Ort sind. Dabei ist niemand pathetisch, niemand frömmelt. Man ist einfach da, spielt Karten, rezitiert Mantras, schwatzt, bringt Essen oder Kaffee und hilft bei der Bewirtung der Gäste oder der Vorbereitung der Bestattungszeremonien. Das nimmt den nahen Angehörigen jeglichen Raum für eventuell aufkommende Trauer und zeigt eine völlig unreglementierte Anteilnahme des gesellschaftlichen Umfeldes.
Ich erlebe das als unvergleichlich viel positiver und sozialer als unsere westliche Kultur der fehlenden Worte, die oft mit einer (zeitweiligen) Isolation der betroffenen Familien einhergeht. Hier geht es nicht um Schuld, nicht um Ego oder Gewissenlosigkeit – und auch nicht darum, Trauer sybolisiert und offen nach außen zu tragen als Beweis dafür, dass man ja nur gesellschaftlich korrekt und lang genug trauert. Hier ist Trauer kein gesellschaftliches Erfordernis.
Auf Bali lebt man einfach weiter, bis zum eigenen Tod – der dann so normal ist wie das Leben.
Anmerkung: Diese Bestattungszeremonie fand 2014 in Ubud statt. In den folgenden Jahren lerne ich, dass es große traditionelle Unterschiede in der Durchführung gibt. Im Norden Balis ist es in einigen Dörfern üblich, Massenverbrennungen an festen Tagen aller fünf oder zehn Jahre durchzuführen. Es ist also durchaus möglich, andere Anläufe als den oben beschriebenen kennenzulernen.
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